Samstag, 6. Februar 2010

Von Breitenbrunn nach Großhöflein

23. und 24. Jänner
Nun war es wieder einmal soweit. Kathrine hatte einen Teil ihrer Lerncoach-Ausbildung über das Wochenende zu absolvieren und ich daher ein Wochenende für mich und mein Weitwanderprojekt. Seit langer Zeit wollte ich den Zentralalpenweg 02, den ich in Breitenbrunn im November unterbrochen hatte, wieder fortsetzen und über das Leithagebirge bis nach Großhöflein marschieren. Im gelben Bücherl des Alpenvereins ist diese Etappe mit ca. 8 Stunden Gehzeit und als leicht ausgewiesen. Ich hatte mich bereits ein paar Mal in Google Earth in dieses Gebiet hineingezoomt und den Weg als klar, eindeutig und leicht erkannt. Man geht den Bergrücken gerade entlang und steigt bei Großhöflein bergab. Sollte man dieses Stück nicht auf einmal schaffen, was eher die Ausnahme ist, kann man jederzeit nach Eisenstadt oder an einen anderen Ort wandern und dort übernachten.
Am Abend zuvor packte ich meinen Rucksack mit einem T-Shirt, Unterhose, Biwaksack, Erste-Hilfe-Set und mehreren Büchern voll. Zeitig um 6 Uhr in der Früh stand ich auf und machte mir einen Tee und frühstückte. Leider vertrödelte ich mich beim gemütlichen Zeitunglesen und musste mich dann ordentlich sputen, um den Zug nach Breitenbrunn zu erreichen. Der Ostbahnhof bestand nur aus einer provisorischen Halle und mein Zug war eigentlich gar nicht angeschrieben, doch ich vermutete, dass dieser eine, der so erwartungsvoll auf dem letzten Gleis auf die wenigen Passagiere wartete, der meinige war und sprang schnell noch hinein.
Gottseidank war es tatsächlich mein Zug und ich genoss diese frühe Fahrt in einem warmen Abteil ganz allein und döste bis Neusiedl/See. In Breitenbrunn erkannte ich sofort meine Strecke wieder. 
Der Bahnhof lag in einer trostlosen Gegend, die Türme von Breitenbrunn grüßten aus der Ferne.  

Nach einer kurzen minimalistischen Fotodokumentation (David Judd hätte seine Freude über diese triste Landschaft und würde jedes Foto davon um 5.000 Dollar verkaufen) hatschte ich die Straße nach Breitenbrunn und sah ein paar Weinkeller.
Bei einer Tankstelle kaufte ich mir – traditionsgemäß – ein Cola und ein Baguette und trabte dann in Richtung der Weinberge.
Verschneit und ein bisschen eisig präsentierte sich der Anfang des Weges. Ein paar Schneeverwehungen ließen mich manchmal größere und kleinere Kurven gehen. Aber ich strebte forschen Schrittes immer weiter bergauf eine Forststraße entlang. Die Wegbeschreibung im Alpenvereinsführer war relativ unspektakulär und empfahl mir an einer Stelle den Bach zu überqueren. Ich tat es und befand mich auf einer ungeräumten Forststraße. So stapfte ich ca. 20 Minuten bergauf um dann zu erkennen, dass ich zu früh abgebogen war. Aber was soll’s, ich strebte weiter dem Bergrücken entgegen und befand mich irgendwann wieder auf dem richtigen Weg mit der rotweißroten Markierung.
Durch den Wald zu gehen macht Spaß, wenn man viel nachdenken kann und die Beschilderung sehr eindeutig ist. Es machte mir überhaupt nichts aus, dass ich der einzige Wanderer war, der diesen Weg ging. Hie und da sah ich Spuren von Rehen, die ebenfalls meinen Weg gegangen sein mussten. Und plötzlich sprangen vor mir zwei wunderschöne Exemplare über die Lichtung.
Die Markierung war frisch, Aussicht hatte man leider keine im Leithagebirge und so stapfte ich einfach dahin. Einmal traf ich einen Bauern bei der Forstarbeit und wir grüßten uns. Bauern scheinen die Wochenendruhe nicht zu kennen und ich war stolz auf diese fleißigen Menschen.
Irgendwie musste ich aber beim Nachdenken eine Abzweigung verpasst haben, denn plötzlich stand ich in einer Siedlung namens Mannersdorf. Ich hatte diesen Namen noch nie gehört und ich wunderte mich. In der Ferne sah ich eine Fabrik und weites Land. Ein längerer Blick auf meine Karte verriet mir, dass ich nördlich des Leithagebirges war! Potzblitz! Was für eine Überraschung! Trotz dreier Kompasse, einer Karte, des Alpenvereinsführers und der rotweißroten Markierung bin ich nicht südwestlich, sondern nach Norden gewandert. Dies war wieder einmal der Beweis dafür, dass ich einen Orientierungsgendefekt habe.
Nun begann ein längerer Straßenhatscher über Hof und Au bis nach Stotzing. Dort kehrte ich in eine kleine Gastwirtschaft ein und trank ein Cola und wartete auf den letzten Bus des Tages nach Wien. In der Metropole Stotzing gibt es nämlich keine Unterkunft. Diese Gastwirtschaft wurde nur von einheimischen Burgenländern besucht und die vier Herren an der Theken, die sich angeregt über Öltanks und Heizkessel unterhielten und ihre säuerlichen weiße Spritzer tranken, waren in ihrem Dialekt schwer zu verstehen.
Im Bus war ich einige Zeit der einzige Fahrgast. Der Busfahrer hörte Radio Burgenland. Nach einigen Haltestellen füllte sich der Bus mit alten Muatterln. Busfahren in dieser Gegend ist eher eine Pensionistentätigkeit.
Nachdem ich mich zuhause in die Badewanne gelegt und ein kühles Bier zwecks Muskelkaterprophylaxe getrunken hatte, ging ich früh ins Bett, denn am nächsten Morgen ging  um 9 Uhr mein Bus vom Südtiroler Platz wieder nach Stotzing zurück.
Der Sonntag ist eigentlich ein christlicher Ruhetag und dies merkte man auch in Stotzing. Keine Menschenseele begegnete mir bei minus 6 Grad.

Nach ca. 3 Kilometern Straßenhatscher erreichte ich den wirklichen Zentralalpenweg 02 und stapfte den Bergrücken wieder entlang. Öfters sah ich auf dem Weg Erdaufwühlungen. So als ob ein großes Tier etwas im gefrorenen Boden gesucht hätte. Ich dachte mir nichts dabei und ging weiter und weiter  und weiter. Dann kam mir ein cooler Einsiedler mit schnittiger 70er-Jahre Sonnenbrille entgegen. „Servas“, grüßte er mich kameradschaftlich, „gehst du den Null-Zwarer?“ Ich bejahte und er erzählte mir, dass er ihn auch mal gehen wollte, aber Probleme mit den Anbindungen an die Öffentlichen Verkehrsmittel hatte und deshalb diesen Weg durch Österreich abgebrochen hatte. Er meinte, dass er sich jetzt eher aufs Radfahren konzentriere und schon viermal in Frankreich über die berühmte Kopfsteinpflasterroute nach Paris gebraust wäre. An diesem schönen Sonntag ging er aber zu seiner kleinen Höhle, um sich ein Supperl zu kochen.
Nach einer längeren einsamen Strecke tauchte unvermittelt aus dem Wald ein Maskierter mit Gewehr auf und schaute grimmig. Zuerst dachte ich, dass hier vielleicht eine militärische Übung stattfindet – oder im schlimmsten Falle, dass ich mich schon wieder verlaufen hatte und ich an der ungarischen Grenze stehen würde. Doch dann erblickte ich die anderen Jäger und sah zwei geschossene Wildschweine, die hinten auf dem Auto festgezurrt lagen. Ich grüßte ganz freundlich und fragte, ob ich ein Foto machen dürfte von den Wildschweinen. Die Jäger waren hoch erfreut und luden die Schweine ab. Auf einem weiteren Auto hatten sie ebenfalls zwei Prachtexemplare verstaut. Sie legten die Beute parallel zu einander auf und formierten sich stolz dahinter.
Nachdem wir alle mit dem fotografischen Ergebnis zufrieden waren, wanderte ich weiter und machte Rast auf einer Bank hinter einem Marterl. Ich trank meinen Tee und aß mein Jausenbrot.  Großhöflein erreichte ich nach einer weiteren halben Stunde Fußmarsch und beschloss, durchgefroren und zufrieden nach diesen vielen Erlebnissen mit dem nächsten Bus nach Wien zu fahren.